Grundlegendes zu den Books Beyond Words

Die „Books Beyond Words“ (wörtlich „Bücher über Worte hinaus“) sind eine in England herausgegebene Serie von Büchern, die Geschichten über Bilder erzählen. Sie zielen besonders auf all die Menschen ab, die Bilder leichter verstehen als Wörter – sei es aufgrund einer Lern- oder geistigen Behinderung, aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, nach einem Schlaganfall oder bei einer Demenz.

Alle Bücher erzählen eine Geschichte und bringen so die dort präsentierten Informationen in einen lebensnahen und leicht zu verstehenden Zusammenhang. Wichtiger aber noch als die Geschichte, die auf den Bildern dargestellt wird, ist die Geschichte, die die LeserInnen in den Bildern sehen. Die Bilder können zu einer Einladung an Einzelne oder Gruppen werden, ihre Geschichten zu erzählen und auszudrücken, was sie in den Bildern wahrnehmen, was sie mit den Bildern verbinden. Es gibt also keine festgelegte Geschichte, kein richtig oder falsch. Dies ermöglicht es gerade auch Menschen mit Beeinträchtigungen, etwas von ihrer inneren Welt, ihren Gefühlen, ihren Überzeugungen, Hoffnungen und Sorgen sowie ihrem Verständnis von Situationen zum Ausdruck zu bringen. Viele Menschen, die nicht lesen oder schreiben können, haben eine visuelle Lesekompetenz oder können diese entwickeln. Die „Books Beyond Words“ Geschichten wollen genau dazu beitragen und so zur Stärkung, ja zum Empowerment von Menschen.

Die Bücher können also eingesetzt werden:

  • weil es Spaß macht, sie alleine oder zusammen zu lesen;
  • um Informationen zu vermitteln;
  • um Gefühle und Erfahrungen ins Spiel zu bringen, die mit Worten schwer ausdrückbar sind;
  • um zu erklären, was auf die Person zukommen wird (z.B. ein Zahnarztbesuch, eine Behandlung etc.)
  • um Brücken zu bauen und Gemeinschaft durch eine gemeinsame Geschichte zu schaffen

Die Bildergeschichten der „Books Beyond Words eignen sich für folgende Leseweisen:

  • alleine (die Bilder vermitteln Informationen, ohne dass Wörter gelesen werden müssen)
  • mit einem Unterstützer/einer Unterstützerin (dabei ist wichtig, dass die Unterstützer wissen, wie man den Leseprozess richtig unterstützt)

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Das Lesen der „Books Beyond Words“ (richtig) unterstützen

Die „Books Beyond Words“ können Sie sowohl mit Einzelpersonen als auch mit einer Gruppe lesen. Wichtig ist die Art und Weise, wie Sie das Lesen anleiten, da die Bücher nur so ihre volle Wirkung entfalten und wirklich zur Stärkung, zum Empowerment der Lesenden beitragen können. Bei Gruppensettings ist es notwendig, dass alle das jeweilige Bild gut sehen können. Oft beginnt man reihum. Wer dran ist, darf als erstes das Bild beschreiben und so die Geschichte (weiter)erzählen; dann können alle anderen ergänzen.

Wenn möglich, halten die Menschen mit Behinderung bzw. diejenigen, mit denen man liest, das Buch und entscheiden selbst, wann es für sie Zeit ist weiterzublättern. Es ist ihre Geschichte.

Sie unterstützen sie bei Bedarf im Leseprozess mit offenen Fragen, die zum Hinsehen und Erzählen einladen. Dabei beginnt man mit „oberflächlicheren“ Fragen, die sich auf das im Bild Gezeigte beziehen, wie:

  • Wer ist das?
  • Wie könnten/wollen wir ihn/sie nennen? (Gerade Menschen mit Behinderung benennen die Protagonisten sehr gerne; auch dadurch wird es ihre eigene, immer neue Geschichte.)
  • Was meinen Sie/meinst du, passiert da gerade?
  • Was macht er/sie? (Bitte den von der Person/Gruppe gewählten Namen benutzen.)
  • Was sagt er/sie?
  • Was denkt er/sie sich gerade?
  • Was noch?

Danach kann man schrittweise eine Schicht tiefer gehen und den bzw. die Lesenden nach den Gefühlen der abgebildeten Personen fragen:

  • Was meinen Sie/meinst du, dass er/sie gerade fühlt? Was könnte er/sie in dem Moment fühlen?
  • Weshalb könnte er/sie sich gerade wütend, traurig, etc. (bitte einsetzen, was von der Person/Gruppe kam) fühlen? Was ist hier los, dass er/sie sich gerade wütend, traurig, etc. fühlt?

Mitunter beginnen die Lesenden an dieser Stelle, von ihren eigenen Erfahrungen oder Gefühlen zu erzählen. Wenn das so ist, bitte einfach zulassen. Das aufmerksame Zuhören, das ruhige Dabeibleiben/Aushaltenkönnen und gegebenenfalls die Unterstützung der Gruppe helfen dabei, den eigenen Emotionen und Erfahrungen Raum und Ausdruck zu geben und sie so ein Stück weit zu verarbeiten. Falls die Vertrautheit mit der lesenden Person oder in der Gruppe es zulässt und können Sie zu diesem Übertrag ins eigene Leben auch sanft einladen. Dazu bieten sich folgende Fragen an:

  • Fühlen Sie sich/fühlt ihr euch jemals so wie er/sie? Fühlen Sie sich/fühlt ihr euch jemals so wütend, traurig, froh, überrascht, etc. wie er/sie? Wann? Wie?
  • Ist so etwas Ihnen/dir/einem Freund/in deiner Familie/Wohngruppe etc. schon einmal passiert? Wollen Sie/willst du etwas davon erzählen?

Wichtig ist, dass den lesenden Personen die Freiheit bleibt, wie tief sie gehen wollen und was sie in den Bildern sehen/sehen können. Es geht um eine fragend-unterstützende Einladung, nicht um ein Hineinbohren in unter Umständen emotional schwierige oder angstbehaftete Themen. Gerade bei Gruppen hilft oft die gegenseitige Unterstützung und die Vielfalt in den Wahrnehmungen beim Sehen und Erkennen, beim Deuten und Verstehen, beim Sich-Öffnen und Mitteilen. Es geht nicht darum, was Sie als UterstützerIn wissen wollen oder wie gut Sie es meinen – ausschließlich der/die Bildbetrachtende führt und entscheidet über seine/ihre Selbstoffenbarung! Bitte unterstützen Sie maximal durch behutsame Fragen. Bei schwierigen und belastenden Themen wie Gewalt oder Missbrauch ist es wichtig, dass Sie darauf achten, lediglich sanft zum Erzählen einzuladen. Was die lesenden Personen nicht sehen oder wahrnehmen sollte nicht von Ihnen thematisiert werden. Die LeserInnen werden belastende Details mitteilen, falls und wann es für sie an der Zeit ist.

Ein Buch muss nicht in einer Sitzung gelesen werden. Wichtiger ist, dass die Lesenden genug Zeit haben, das Buch in ihrem Tempo durchzugehen.

Es ist auch nicht schlimm, wenn Sie merken, dass manche Personen der Geschichte nicht folgen können. Sie werden dennoch einige der Bilder verstehen. Verweilen Sie dann länger bei den Bildern, wo der Leser oder die Leserin Interesse zeigt.

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Emotionale Unterstützung leisten

Das Lesen der Bücher kann bei den LeserInnen starke Gefühle auslösen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie nicht nur darauf eingestellt sind, sondern auch wissen, wie Sie damit umgehen können. Es ist eine große Stärke der „Books Beyond Words“, dass Menschen darin nicht nur Informationen erhalten, sondern sich auch mit ihren Gefühlen und eigenen Erfahrungen wiederfinden können. So kann es sein, dass einzelne LeserInnen während des Lesens oder danach ängstlich, wütend oder stark aufgewühlt werden.

Bleiben Sie ruhig. Versuchen Sie, mit einer ruhigen Stimme zu reagieren. Lassen Sie die betroffene Person wissen, dass Sie sehen, dass Sie wahrnehmen können, dass er/sie wütend, ängstlich, traurig etc. ist. Fragen Sie nach, ob er/sie davon erzählen möchte, was ihn/sie so fühlen lässt. Hören Sie dann einfach zu und bleiben Sie dabei.

Falls Sie merken, dass Sie sich dabei unwohl fühlen oder unsicher werden, gehen Sie bitte nicht weiter oder tiefer, sondern halten den Moment mit dem/der Betroffenen aus und bitten z.B. eineN Kollegen/in um Unterstützung für sich selbst, ggf. auch um die Übernahme der weiteren Bildbetrachtung. Das kann gut auch zu einem anderen Zeitpunkt sein. Sorgen Sie für sich!

Das Buch kann auch der Aufhänger für Fragen oder Sorgen der Menschen sein. Es kann sein, dass sie von Dingen erzählen, die sie gehört haben und sie beängstigen, oder dass sie Fragen z.B. zur Pandemie stellen. Beantworten Sie diese, wenn Sie können. Falls sie die Antwort nicht wissen, benennen Sie das bitte genau so. Teilen Sie den LeserInnen dann bitte mit, dass Sie sich erkundigen werden bzw. von wem sie Antworten erwarten können. An dieser Stelle ist es wichtig, dass Sie Ihr Versprechen auch einhalten, da es für die Person eine wichtige Frage ist, und sich sonst für die Betroffenen der Eindruck entstehen kann, dass man sie mit ihren Sorgen und Anliegen im Stich lässt – etwas, das viele leider schon viel zu oft erlebt haben. Es ist wichtig, dass sie Ihnen vertrauen können.

Bitte scheuen Sie nicht davor, ein und dasselbe Buch immer und immer wieder mit Menschen mit Behinderung zu lesen. Die Wiederholung führt nicht zu Langeweile. Im Gegenteil, sie hilft Menschen mit Beeinträchtigungen dabei, Neues zu erlernen, sich die Geschichte und deren Inhalte zu eigen zu machen und zunehmend eigene Freuden, Sorgen, Erlebnisse etc. zu erinnern und verbal oder nonverbal auszudrücken. Das gilt in besonderer Weise natürlich dann, wenn die behinderten Personen selbst nach dem Buch verlangen.

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